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Japan vs. Deutschland: Eurovision Song Contest

Beim gestrigen Eurovision Song Contest in Kopenhagen ging es um die Wurst. Grund genug, ein »Japan vs. Deutschland«-Spezial an den Start zu bringen. Vergleichen wir doch einmal den Eurovision Song Contest mit seinem japanischen Pendant, dem NHK Kōhaku Uta Gassen (»rot-weiße Liederschlacht«). Welche der beiden Sendungen bringt die größere Freakshow zustande?

 


Eurovision und Kōhaku Uta Gassen: Um was es geht:

Der Grand Prix Eurovision de la Chanson wird seit 1956 jährlich von der Europäischen Rundfunkunion veranstaltet und dürfte wohl der größte Musikwettbewerb der Welt sein. Weil der Name so wahnsinnig kompliziert klingt, benannte man die Veranstaltung kurzerhand neudeutsch in Eurovision Song Contest um. Der ESC findet an wechselnden Orten statt und wird in ganz Europa sowie darüber hinaus übertragen. Die Musiker werden von den einzelnen Nationen nominiert oder gewählt und nehmen (mit Ausnahme der großen Länder, die automatisch gesetzt sind) nach erfolgreichem Abschneiden im Halbfinale am Finale teil. Am Ende wird in einer internationalen Abstimmung ein Sieger gekürt.

Der Kōhaku Uta Gassen wird von der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt NHK veranstaltet und findet am Silvesterabend in der NHK Hall in Tokyo statt. Der erste Kōhaku wurde 1951 gesendet, womit die Sendung eine ähnlich lange Geschichte wie der ESC vorweisen kann. Die Teilnehmer werden nicht gewählt, sondern vom Sender eingeladen und treten in zwei Gruppen (rot = Frauen, weiß = Männer) gegeneinander an. Der Kōhaku ist eine rein nationale Veranstaltung, auch wenn es hin und wieder Außenschaltungen zu Orten wie Taiwan oder Korea gibt oder ausländische Künstler auftreten. In Europa wird er nur auf dem Auslandssender des NHK ausgestrahlt, den man gegen einen läppischen Obolus von 50 Euro pro Monat abonnieren kann. Während die Eurovision ihre Beiträge für die ganze Welt bei u.a. bei Youtube veröffentlicht, ist der Kōhaku nur für einen Zeitraum von zwei Wochen nach Ausstrahlung in der NHK-eigenen Mediathek zu sehen. Gegen Bezahlung und mit GeoIP-Sperre, damit kein Ausländer auf die Idee kommt, sich ihn anzuschauen.

Was so passiert:

Noch vor dem eigentlichen ESC-Finale darf sich der deutsche Zuschauer ein auf der Reeperbahn stattfindendes Vorprogramm zum Abwärmen ansehen. Barbara Schöneberger (wichtigstes Thema: das Wetter) präsentierte dort mit Jan Delay, Sido und Helene Fischer kurz noch einmal ein »Worst Of« der deutschen Musikindustrie. Highlight der Veranstaltung war zweifellos die »Wurst&Steak«-Bude im Hintergrund des zwischendrin eingebauten Worts zum Sonntag.

Der ESC selbst kommt hingegen steril wie ein frisch desinfizierter Babypopo daher. Es gibt zwar Moderatoren, die halten sich jedoch ziemlich im Hintergrund und treten eigentlich nur bei Umbaupausen sowie am Ende bei der Abstimmung wirklich in Erscheinung. Die Kandidaten treten alle monoton hintereinander auf und werden jeweils durch kurze Einspielvideos vorgestellt. Statt einer Moderation wird alles in der jeweiligen Landessprache kommentiert. Der Deutsche kommt hierbei in den Genuss des legendären Valiumhändlers Peter Urban. Die besten Stellen sind da, wo er mal versucht einen Witz zu machen, und da, wo er sich in die Hose macht. Aber ganz ehrlich: Ohne Peter aus der U-Bahn wäre der ESC nur halb so unterhaltsam.

Die Beiträge bestehen beim ESC weitestgehend aus weichgespülten Popsongs, mal mehr, mal weniger balladig oder rockig. Wirklich unterirdisch schlechte Songs gibt es wenig, aber eben auch nicht viel Gutes. Obwohl hier viele Nationen teilnehmen, haben ganze drei Länder (Großbritannien ausgenommen) vollständig in ihrer Sprache gesungen. Der Rest war englisch. Bei diesem Einheitsbrei war der Zettel für das Boygroup Bullshit-Bingo schnell voll. Auch die Präsentation war weitestgehend unspektakulär. Die bärtigen Franzosen und Österreicher mögen vielleicht für europäische Verhältnisse auffallend sein, beim Kōhaku würden sie jedoch bestenfalls in die Kategorie »mostly harmless« fallen.

Fernsehen in Japan ist eine andere Welt und mit Sicherheit auch noch einige Extrabeiträge wert. Andererseits ist der Kōhaku eine Veranstaltung des vergleichsweise konservativen Staatsrundfunks. Was erwartet den Zuschauer nun dort?
Das Erfreuliche: Es ist noch eine richtige Fernsehshow mit Anfang und Ende, mit Gästen und Beiträgen, so wie sie in Deutschland eigentlich schon fast wieder ausgestorben ist.
Unerfreulich: Während man in Deutschland Barbara Schöneberger schnell aus dem Gedächtnis verbannt hat, begleitet dem Zuschauer hier die Moderation unter anderem in Form der Boygroup »Arashi« (aka. Amarschi) durch die gesamte Sendung. Autsch.
Ebenso wie beim ESC besteht die Musik weitestgehend aus Einheitsbrei, die Stilrichtungen und die Präsentation sind jedoch deutlich breiter. Durch die Ausstrahlung am Silvesterabend agiert der Kōhaku zeitgleich auch als (musikalischer) Jahresrückblick, anhand dessen sich die Gästeliste zusammensetzt. So rigide Regeln wie beim ESC bezüglich der Teilnehmer und der Songs gibt es nicht, aber die Idol-Gruppen mussten alles Zuhause lassen, was noch nicht die Oberschule besucht.
Beim ESC gibt es ein Einspielvideo und ein Lied. Ein Einspielvideo und ein Lied. Ein Einspielvideo und ein Lied. Und Peter aus der U-Bahn. Beim Kōhaku gibt es traurige Gedichte und Balladen über Opfer von Naturkatastrophen und Atombomben während beim nächsten Song keine zwei Minuten später Superhelden gegen intergalaktische Tentakelmonster kämpfen.
Der geneigte Leser fragt sich nun vermutlich, ob denn die Japaner keine Schmerzgrenze kennen. Doch doch, was wäre so eine Sendung ohne Skandale? Legendär ist der Auftritt von DJ OZMA anno 2006, dessen Hintergrundsängerinnen sich während des Auftritts ihrer Kleider entledigten. Sie trugen zwar hautfarbene Anzüge, die im Fernsehen jedoch kaum als solche zu erkennen waren. Der Sender bekam um die 1800 Beschwerden, entschuldigte sich am Ende der Sendung und DJ OZMA bekam lebenslanges Hausverbot bei NHK. Aber hey, so kann man auch mit mieser Musik bei den Leuten im Gedächtnis bleiben.

Die Abstimmung:

Am Ende wird zur Wahl gebeten. Beim Kōhaku durch das Publikum und einer Jury vor Ort sowie durch den Zuschauer an den Empfangsgeräten und -gerätinnen. Abgestimmt werden kann über die Fernbedienung am Fernseher (wenn ein Internet-Rückkanal vorhanden ist), über mobile TV-Geräte (Handy, Playstation, etc.) oder ganz klassisch über eine Handy-Webseite. Am Ende gewinnt dann das rote oder das weiße Team. So unspektakulär kann Wählen sein.
Beim ESC hingegen ist die Abstimmung eine Welt für sich und wohl interessanter als die ganze Musik drumherum. Die Hälfte des Ergebnisses kommt von einer Jury, die nicht live bewertet, sondern alles am Vortag bereits erledigt hat. Die andere Hälfte darf der Zuschauer bestimmen, in dem er eine Telefonnummer anruft oder vom Mobiltelefon eine Kurznachricht schickt: Willkommen im Jahre 2014. Damit nicht genug, den ganzen Spaß darf der Zuschauer auch noch mit 20 Cent pro Abstimmung bezahlen. Zur Gewinnmaximierung wird der Zuschauer dann noch mehrfach darauf hingewiesen, dass er ja bis zu 20 Mal abstimmen darf. Am Ende gibt jedes einzelne Land per Liveschaltung haarklein seine Bewertung bekannt. Der ESC ist damit immer auch ein kleines Politikum. So fragt man sich nach der Abstimmung, wieso Deutschland wieder einmal so mies abgeschnitten. Ist es, weil uns die anderen Länder einfach nicht mögen oder weil sie ganz ehrlich die deutsche Musik einfach nur kacke finden?
So endet der Eurovision Song Contest und die Übertragung geht nahtlos weiter mit Jan Delay auf der Reeperbahn. Damit wäre zumindest die vorherige Frage hinreichend beantwortet.

Fazit:

Für beide Länder spricht:

Ohne angemessenem Alkoholpegel sind beide Sendungen nicht zu ertragen.

Für Deutschland spricht:

Der Eurovision Song Contest 2014 brachte aus deutscher Sicht wenigstens drei grundlegende Resultate:
1. Wir stehen über Frankreich
2. Deutschland ist besser als Ralph Siegel
3. Peter Urban hat versucht einen Witz zu machen.

Für Japan spricht:

Der Kōhaku Uta Gassen brachte eine viereinhalbstündige Freakshow.
In Japan wird auch auf Deutsch gesungen. Naja, man versucht es auf jeden Fall.

Klare Entscheidung: Beim Kōhaku gibt es mehr zu sehen. 12 Punkte für Japan.

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